DIE LEICHTIGKEIT DES STEINS

‘We will never know what space is’ – recht hat er, der Louis Kahn, und er fährt fort:  ‘and what is talked about as space’, ‘was so alles über Raum erzählt wird’. Ja, mit Worten lässt sich’s trefflich streiten, zuerst und vor allem über das Flüchtigste, Unfassbarste, Zentralste aller Architektur, den Raum:  als Zuflucht und Ausrede, als Bemäntelung und Beweihräucherung, aber auch als deren Quintessenz, als deren Geheimnis.

‘Alles ist Raum’ behauptet eine feuilletonlancierte Avantgarde und reduziert unsere Architektenkunst auf’s Kunstgewerbe, im besten Fall auf Raumkunst, Raumskulptur. All die Glas- und Blech- und Gipskartonkistentricks, all die Plastikblasen, die den Architekturmarkt füllen, verwechseln die Zwecke mit den Mitteln, machen Effekt, machen Wirkung ohne zureichende Ursache. ‘Schönes in dieser schönen Arbeit’ ist nur zu leisten in der präzisen Begrenzung von Raum durch die Schwere, die Tiefe des Materials, beseelt durch das Licht.

Aber der alten Schwere, den Wundern von Sakkara zum Beispiel, von Istanbul und Cordoba, kann durchaus eine neue, freiere, suggestive Räumlichkeit dazugestellt werden, eine sehr widersprüchliche, sehr streitbare Leichtigkeit des Steins, eine komplexere, kontrastreichere Verknüpfung von aufgetürmter Erde und dem Licht, das darauf herunterfällt:  – der stahlbewehrte Beton, eine technisch-konstruktive Täuschung allerersten Ranges, hat tatsächlich das Zeug dazu, uns über all die ehrwürdigen, verlorenen Tugenden von Konsistenz und Tektonik hinwegzutrösten; – und nur er kann unsere Suche nach neuen Räumen und Raumtypen verknüpfen mit einer – zugegeben sehr weit zurückreichenden – Sehnsucht nach Geborgensein, nach Notwendigkeit:  ‘so und nicht anders’ – das sagt uns jede frisch ausgeschalte Wand, ‘nimm mich wie ich bin’, und ‘leb mit mir’, ‘lass Dich drauf ein’. Damit ist der gegossene Stein Hoffnung des Architekten, Angst der Bauleute, Herausforderung des Bauherrn, – und oft genug Menetekel unserer Baukultur. Und ausgerechnet jetzt, am Beginn des neuen Millenniums, wenn der optimierte Trocken- und Montagebau seine endgültigen, banalen Triumphe feiert, dämmert uns Eingeweihten: es wird eine rührende Sage daraus werden, dass es im 20. Jahrhundert eine Art des Bauens, eine höchstbeschwerliche Art gegeben habe, die noch einmal, zum letzten Mal Architektur von Gewicht hervorbringen konnte, – was sage ich: Architektur.

Grosse Bauten erkennt man am déjà- vu. Sie sagen, was man immer wusste, nur vergessen hatte. Mit den präfabrizierten Kartonagen und Blasen einer mutigen neuen Welt wird es diese raunende Beschwörung unseres Imperfekts nicht mehr geben.